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Gelehrtenfamilie-Königsberg

Pathologisches Institut
Pathologisch-pharmakologisches Institut Königsberg

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden an europäischen Universitäten Pathologisch-Anatomische Institute errichtet. In Preußen war das bedeutendste in Berlin beheimatet. Von hier aus besetzte Rudolf Virchow (1821- 1902) die meisten, wenn nicht alle neu eingerichteten Pathologischen Institute an deutschsprachigen Universitäten mit seinen Schülern.

Folgerichtig war der erste Leiter des Königsberger Instituts Friedrich von Recklinghausen (1833 – 1910). Er richtete in der Chirurgischen Klinik „einen mehr als bescheidenen Raum für das neue Spezialfach ein" (Scholz, S. 24). Bis zu diesem Zeitpunkt war in Königsberg die „Pathologische Anatomie durch die Physiologen vertreten, von denen sich Wilhelm Waldeyer (1836 – 1921) einen Namen machte.  
Friedrich von Recklinghausen blieb nur 1 Jahr  in Königsberg. Nachfolger wurde Ernst Christian Neumann (1834 – 1918), Sohn des Physikers Franz Ernst Neumann (1798-1895).

Drei Jahre (1868) nach der Übernahme der Institutsleitung berichtete er, dass das Knochenmark das langgesuchte Blutbildungsorgan sei, in dem von der Embryonalzeit bis ins Erwachsenenalter aus einer „Lymphoiden Markzelle" (die spätere  „Stammzelle" laut Pappenheim 1896,  Maximow 1909, Neumann 1912), die Erythrozytopoese (1868) bzw. die Leukozytopoese (1878) gebildet wird.  
Durch diese Mitteilung aus dem Institut, vorgetragen auf dem Verein für Wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg am 10.Oktober 1868, stand das Institut schlagartig im Focus internationaler Diskussion. L. Bizzozero aus Italien und Claude Bernard aus Frankreich bestätigten umgehend die Ergebnisse (Bernard). Rudolf Virchow lehnte das Knochenmark als Organ der Blutbildung zunächst ab (Cellularpathologie 1971).
Zusammen mit den Mitarbeitern Max Askanazy und Paul von Baumgarten, George Rosenow und weiteren 54 Assistenten (54 Dissertationen, darunter Ludwig Pick)  wurde bis 1903 die „Neumann-Schule der Hämatologie" mit einer konzentrierten Forschung am Knochenmark und den Lymphknoten ausgebaut.  

The institut of Koenigsberg (Neumann) and Turin (Bizzozero) "reported observations and drew conclusions that were so revolutionary that they were not accepted" (M.WINTROBE1985).




"The beginning of Stem Cell research can be dated back to Ernst Neumann, who was appointed professor of pathology at the University of Koenigsberg in 1868. He described in a preliminary communication the presence of nucleated red blood cells in bone marrow (BM) saps (Abb. 2). Neumann concluded in his subsequent papers, that during postembryonic life, erythropoiesis and leukopoiesis are taking place in the BM. On the basis of his observations, Neumann was the first to postulate the BM as blood-forming organ with a common SC for all hematopoietic cells" (Zech NH, Shkumatov A. Koestenbauer, S. 2011).

Um diesen Satz verstehen zu können, bedarf es einer Erläuterung:

Das Institut hatte 1866 moderne Mikroskope angeschafft. Neumann fand die neue Auflösung so gut, dass er das sog. "Nativpräparat" für alle pathologische - anatomischen Untersuchungen einführte, also die Untersuchung der lebenden
Zelle ohne chemische Zusätze oder Färbelösungen  (in vivo): Mittels am Schraubstock ausgepresstem Knochenmarksaft  wurde die im eigenen Saft schwimmende, lebende Zelle mikroskopisch untersucht.
Neumann demonstrierte  den Vorteil dieser Untersuchungsmethode 1874 mit Zeichnungen (Abb.2).
Abb.2 Nativpräparat: Vorteil der Untersuchung einer noch lebenden "jungen kernhalten roten Blutzelle" (4a - c) gegenüber einer toten Zelle (4d) nach Zusatz von chem. Substanzen, einschließlich Färbemitteln. Die Untersuchungen wurden am ausgepreßten Knochenmarksaft und aus frischem  embryonalen Lebersaft durchgeführt.
Die Abbildungen  4 a – c zeigen „junge kernhaltige rote Blutzellen" (kernhaltige Erythroblasten) bereits nach Hämoglobinaufnahme. 4 d: die gleiche Zelle unter chemischem Einfluss (hier Essigsäure);
Abb. 5 a – d Erythroblasten „aus frischem  embryonalen Lebersaft"  mit zerfallendem und rudimentärem Kern" im Übergang zum Erythrocyten (Neumann vermutete 1874 noch eine Karyolyse des Erythroblastenkerns und war sich erst 1890 sicher, dass sich kernhaltige rote Blutzellen aus einer großen lymphoiden Rundzelle (dem Lymphozyten ähnliche Zelle) auch postembryonal aus dem Parenchym des konochenmarks bzw. der embryonalen Leber entwickeln  kann (Unitarischer
Standpunkt - Neumann 1890). Der parenchymatose Ursprung der Zellen  wird von askanazy 1935 nochmals ausdrücklich richtig gestellt, siehe Askanazy 1935

Diese Abbildung aus dem Jahre 1874  ist die erste zeichnerische Darstellung einer
"Entwicklungsstufe farbigen Blutzellen" auf ihrem Weg zum Erythrozyten (Neumann 1874). Wegen dieser neuen Untersuchungsmethode aus dem Königsberger Pathologischen Institut kam es mit Paul Ehrlich in Berlin zu Differenzen, denn Neumann hielt dessen
Färbemethoden
für untauglich, da in Berlin Entwicklungsvorgänge an abgestorbenen, gefärbten Zellen beobachtet wurden. Zellen seien vielmehr grundsätzlich in vivo, also im lebenden Zustand, mikroskopisch zu untersuchen, denn chemische Einwirkungen veränderten Zellkerne und das Zytoplasma, wie seine Abbildungen zeigten.  
 
1878 wurde im Institut konstatiert, dass auch die Leukozytopoese zeitlebens im Knochenmark bzw. der embryonalen
 
Leber und Milz stattfindet. Zeichnerisch stellte Neumann diese "Lymphoide Markzelle" (1869), bzw. den "Lymphomyeloblasten" oder "Großen Lymphozyten" nach Maximows erst 1912 als "Großlympozytäre Stammzelle" dar (Abb. 3).

 
Abb. 3: GrLk: "Großlymphozytäre Stammzelle" (Neumann 1912)




Über die genau 50- jährige Blutzell-Forschung am Pathologischen Institut: siehe die Seite "History of stem cell".

 
Wissenschaftliche Ergebnisse aus dem Institut  

1868/69  Blutbildung im Knochenmark aus selbstregenerierender „Lymphoider Markzelle"  
1870 Knochenmarkbedingte Leukämie (N45), die als  "myelogene Leukämie" bezeichnet wurde. Ein  Charakteristikum bei der knochenmarkbedingten Leukämie ist das Auftreten von Kristallen im Knochenmark  (Charcot-Neumann-Leyden Kristalle).
1888  Extrahepatische Bilirubinbildung; Pathol. Ikterusformen - Physiologischer Ikterus
neonatorum (N82, N83)
1888 Exklusionsgesetz der Hämoglobinabkömmlinge: "Hämosiderin" (Neumann) im
lebenden Organismus, Hämatoidin als Pigmentsymbol der Nekrose (N82)
1890 Blutbildung im postpartal neugebildeten Knochenmark (N87) vergl. Unitarismus

Weitere Ergebnisse aus dem Pathologischen Institut:  
1. Die Erstbeschreibung der Histologie des Knochenmarkgewebes, darunter das „Neumann´ Gesetz der zentripetalen Entwicklungsrichtung der Fettmarksubstitution"
2. Die embryonale Blutbildung im Knochenmark, in der embryonalen Leber und Milz
3. Beiträge zur Perniziösen Anämie  
4. "Fibrinoide Degeneration" und „Fibroblasten" beim Entzündungsprozess (N74,1880 und N92,1896)
5.  Beschreibung des "Pigments der braunen Lungeninduration"(N101,1900),
6. Erkennung der „Regenerationsfähigkeit des Muskels ("Neumann´ Muskelknospen"),  
7. „Neumann´ Nervenentwicklungsgesetz" (N103,1901): „Regeneration periferer Nerven nach Kontinuitätstrennung am Pathologischen Institut Königsberg (Dissertationsthema – Buzmann 2003).
8. „Neumann´  Zahnscheiden"  (1863)
9. "Neumann-Tumor" (kongenitale Epulis) (N50.1871)).


Die weiteren Institutsleiter waren Rudolf Beneke (1861 – 1946) von 1903 – 1906, Friedrich Henke (1868 - 1943) von 1906 – 1911, Carl Kaiserling (1862 – 1942) von 1913 – 1935 und Karl Krauspe (1895 - 1965) von 1935 – 1944. Sie setzten die Königsberger unitaristische Schule der Hämatologie konsequent fort. Daneben bearbeiteten sie die Themenbereiche der Thrombose und Embolie (Beneke),  Infektionskrankheiten Diphtherie, Appendicitis und der durch Streptokokken bedingten Tonsillitis (Henke) und die Königsberger Haffkrankheit (Krauspe).
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Das Pathologische Institut Königsberg geriet mit dem Ende der Berliner Hämatologischen Gesellschaft (1908) in Vergessenheit. Der Grund ist zu suchen im
 
Unitarismus - Dualismus - Streit

Es gab zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen europaweiten Meinungsstreit um die Blutstammzelle. Die Ansicht der Wissenschaftler am Königsberger Pathologischen Institut besagte, dass sich selbst noch beim Erwachsenen aus parenchymatösem Knochenmarkgewebe neue Stammzellen bilden und aus denen sich z.B. bei Blutverlust, neue „Rote Blutkörperchen" entwickeln können (Unitarischer Standpunkt). Diese Meinung wurde von Alexander Maximow in St. Petersburg, Max Askanazy, Genf  sowie Artur Pappenheim, Berlin in der von ihm gegründeten „Berliner Hämatologischen Gesellschaft (1908) übernommen.

Es setzten sich aber die Gegner dieser Hypothese durch: Eine einmal in der Embryonalzeit angelegte Stammzelle entwickelt  sich nach der Geburt in mehrere verschiedene Blutzellreihen (Dualistischer Standpunkt). Durchsetzungsfähigster Dualist war der Nobelpreisträger Paul Ehrlich (1854 – 1915) neben  Wilhelm Türk (1871 – 1916) aus Wien und Otto Naegeli (1871 – 1938)  aus der Schweiz.
Dessen Werk: Blutkrankheiten und Blutdiagnostik 2.Aufl. 1912, wurde zum Standardwerk. Hier geht Naegeli mit den Unitariern „streng ins Gericht" (H. Neumann, Y. Klinger, S. 107). Die Folge war, dass das Königsberger Pathologische Institut nach den ersten Weltkrieg vollends in Vergessenheit geriet.
Erst nach über 100 Jahren, konnte die Existenz einer nach der Geburt sich regenerierenden Knochenmark- Stammzelle durch eine Knochenmarkkultur (Fauser) bewiesen werden, auf die das Pathologische Institut bereits 1912 hingewiesen hatte (Neumann 1912).

Das Universitätsgebäude und seine Ausstattung

Von 1865 – 1890 standen dem Institut Räume  in der Chirurgischen Klinik zur Verfügung. Von 1888 - 1890 wurde ein
Neubau für das Pharmakologische und das Pathologische Institut in der Kopernikusstraße -4 (Abb 1) errichtet.
An Einrichtungsgegenständen besaß das Institut einige wenige gute Mikroskope, an denen das „Nativpräparat" (s.o.) eingesetzt wurde (Neumann 1869).
Erst unter Carl Kaiserling wurde das Institut mit hochmoderner Technik ausgestattet, z.B. mit einem Gefriermikrotom, der Luminiszenz- mikroskopie zur Untersuchung von Tuberkelbakterien, mit neuesten Apparaten für fotographische, mikro- und makroskopische
3
Projektionen im Unterricht und mit Spektrographie zum Thallium-Nachweis im Gewebe.

Rudolf Benecke bewirkte 1903 einen  Ausbau des Demonstrationssaales mit zwei Obduktionstischen. Vor und nach dem Krieg verschob man alle Anträge auf bessere Zeiten, bzw. ab 1939 auf den „Endsieg". „Die Zerstörung des Instituts durch einen Luftangriff am 31.8.1944 vernichtete einen großen Teil aller dort geleisteten Arbeit, insbesondere die wertvolle Präparatesammlung" (Krauspe, in: Scholz, S. 31).



Literatur:

Askanazy, M.: Ernst Neumann. Zbl. f. Allg. Path. u. Path. Anat. 29 (1918) S. 409 -421  
 
Askanazy, M.: Ernst Neumann, Verh. dt. Path.Ges. 28 (1935) S. 363-372; hier S. 369:  Neumann legt am Frosch dar, dass diese Stammzellen, die "Lymphozyten" im weiteren Sinne des Wortes, d.h. die ungefärbten Parenchymzellen des Blutbildungsgewebes zuzurechnen sind. Von dem Endothel oder den Retikulumzellen ist also nicht die Rede." Vortrag in Genf 1935, abgedruckt in den Verh. dt. Gesell. f. Pathol. Bd. 28, 1935, S. 369


Bernard, Cl: E.Neumann, Königsberg, Du role de la moelle des os dans la formation du  sang, Oct.1868. In: Mémoire présentée par M. Claude Bernard à l´Académie des sciences de Paris, 1869. Comptes rendue des scéances de l´Academie des Scéances de Paris Tome 68, Nr. 19, 1869
Boroviczeny, K.G.v. et al: Einführung in die Geschichte der Hämatologie, Georg Thieme Verlag Stuttgart 1974

Fauser, A.A. et al.: Cytotoxic T-cell clones derived from pluripotent stem cells (CFU-GEMM) of patients with Hodgkins Lymphoma Blood 60 Nr.6 (1982) S.1317-1320

Klinger, Y. Über die Entdeckung der hämatopoetischen Funktion des Knochenmarks und das Postulat der Stammzelle. Dissertation aus der Medizinischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum 1992

Maximow, A.: Der Lymphozyt als gemeinsame Stammzelle der verschiedenen Blutelemente in der embryonalen Entwicklung und im foetalen Leben der Säugetiere. Originally in: Folia Haematologica 8.1909, 125-134.  Published in: Cell Ther Transplant. 2009, 1:e.000040.01.doi: 10.3205/ctt-2008-en-000040.01

Neumann, E.: Über die Bedeutung des Knochenmarks für die Blutbildung
Centralblatt für die Med. Wissenschaft 44 (1868) 689

Neumann, E.: Über die Bedeutung des Knochenmarks f.d. Blutbildung
Ein Beitrag zur Entwicklungsgesch. der Blutkörperchen
Archiv f. Heilkunde  10 (1869) 68-102 (Wagners Archiv)

Neumann, E.: Ein Fall von Leukämie mit Erkrankung des Knochenmarks Anhang: Salkowski: Chemische Untersuchungen des leukämischen Markes (28.7.69)
Archiv der Heilkunde (Wagners Archiv) Bd. XI, (1871) S. 1 - 15

Neumann, E.: Neue Beiträge zur Kenntnis der Blutbildung. E. Wagners Archiv der Heilkunde Bd. XV, 1874
mit Abb. (Nativpräparat) von dem kernhaltigen roten Blutzelle bis zum kernlosen Erythrozyten  (Blut und Pigmente, S. 63 - 92)

Neumann, E.: Das Gesetz über die Verbreitung des gelben und roten Knochenmarks
Centralblatt für die Med. Wissenschaft. 18 (1882) S. 321-323

Neumann, E.: Über die Entwicklung roter Blutkörperchen im neugebildeten Knochenmark. Virchows Archiv  Bd. 119, 1890 (Blut und Pigmente, S. 201 - 211)

Neumann, E.: Hämatologische Studien III. Leukozyten und Leukämie, Virch. Arch. 207 (1912) S. 379-412

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Copyright 2000

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Zech,N.H., Shkumatov,A. Koestenbauer,S.: Die magic behind stem cells. Journal of Assisted Reproduction and Genetics Vo. 24, Nr. 6 (2007) 208 - 214  Abstract This review article summarizes historical development of stem cell research, presents current knowledge on the plasticity potential of both embryonic and adult stem cells and discusses on the future of stem cell based therapies.Keywords Embryonic stem cells . Adult stem cells. Therapy Plasticity Introduction
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Prof. Ernst Neumann
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Die Stammzelle
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